Aus meiner Sicht besteht Arbeit aus zwei wesentlichen „Modulen“:

  1. lebenserhaltende und -strukturierende Beschäftigung
    m.E. primär zur Existenzsicherung und Regeneration
    im Sinne: „am Laufen halten“
    (engl. labour, job, occupation => motion)
     
  2. sinnhafte und -stiftende Tätigkeit
    m.E. primär zur Anhäufung verschiedener Kapitalsorten*
    im Sinne: „ein Vorankommen erreichen“
    (engl. work, activity, usefulness => progress)

Im Idealzustand fällt beides theoretisch im Arbeitsbegriff und praktisch am Arbeitsplatz zusammen. Allerdings wird in der Öffentlichkeit meist das Erstere diskutiert mit Begriffen wie Beschäftigungsverhältnis, Beschäftigungsquote, Erwerbspersonen, etc.

Das Letztere soll wie von Geisterhand intrinsisch dazukommen bzw. durch Vorgesetzte u.a. extrinsisch erzeugt werden. Oder aber in der Minimalform bereits implizit durch die Beschäftigung an sich erreicht werden: „Sei froh, dass du überhaupt einen Job (und somit ein Einkommen) hast!“.

Ich vermute, dass (fast) alle standardisierbare Arbeit durch Technologien und Maschinen mittelfristig „wegautomatisiert“ werden kann – d.h. dass das „Module #1: Labour“ aus ökonomischen Erwägungen in vielen Bereichen ausser Betrieb genommen werden kann. Am Übergang zum „Digitalzeitalter“ scheint uns somit die wirtschaftliche Notwendigkeit zur Beschäftigung von Menschen mit Routineaufgaben nach und nach auszugehen. Der spektakuläre Erfolg des „Scientific Management“ zur Organisation der Arbeitskräfte am Übergang von der Manufaktur- zur Fabrikarbeit sowie darüber hinaus für immer mehr Verwaltungsaufgaben ist an sein Ende gekommen. Die auch als „Taylorismus“ bezeichneten Umsetzungen und Auswirkungen sind für die aktuell anstehenden Aufgaben eher hinderlich als förderlich. Den historischen Verlauf und die sich ändernden Erfordernisse aus marktdynamischer Sicht kann man anhand der „Taylor-Wanne“ nach Gerhard Wohland nachvollziehen.

Im „Industriezeitalter“ wurde auf die routinemässige Beschäftigung von Menschen fokussiert und durch Arbeiterbewegungen und Arbeitskämpfe für eine immer breitere Mittelschicht sozialverträglich organisiert – dass dies in unserer westlichen Gesellschaft offensichtlich so nicht mehr funktioniert, ist weitreichend analysiert worden. Als ob diese Herausforderung nicht schon gross genug wäre, wird die Situation durch die gegenwärtige Selbstdemontage der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aufgrund machtpolitischer Fragen noch weiter verschärft, obwohl sie wie bei ihrer Gründung vor über 150 Jahren als „Technologie-Bewältigungspartei“ dringend für inhaltliche Fragen gebraucht würde. Allerdings liegt der gegenwärtigen Situation laut Wolfgang Streeck (*1946) etwas zugrunde, das uns tief beunruhigen sollte: die Transformation des Verhältnisses von Demokratie und Kapitalismus. Damit das Konzept der Arbeit im Globalen Norden weiter funktionieren kann, müssen wir m.E. gesellschaftlich mit der Automatisierung des „Module #1: Labour“ adäquat umgehen und gleichzeitig das „Module #2: Work“ transformieren sowie kontinuierlich optimieren...

Meiner Meinung nach leistet die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens** einen entscheidenden konzeptionellen Beitrag zur Entkopplung der Beschäftigung vom Einkommen – ganz konkret: von der Existenzsicherung, nicht aber notwendigerweise vom Gesamteinkommen. Ich befürchte allerdings, dass sich das Zeitfenster zur proaktiven Gestaltung und Umsetzung eines solchen Konzepts immer weiter schliesst. Wenn wir dies gesellschaftlich verpassen, dann wird die „Einführung eines BGE“ mit anderem (aus meiner Sicht: falschem) Fokus trotzdem durchgesetzt werden – nämlich um den Konsum weiter aufrechterhalten zu können. Durch Schaffung technologischer Fakten in allen Gesellschaftsbereichen wird die Ausserbetriebnahme des „Module #1: Labour“ so oder so passieren bzw. wurde diese bereits vollzogen.

Der Anpassungsdruck kann anschliessend von „der Wirtschaft“ mit Verweis auf ihre „Systemrelevanz“ komplett an „die Politik“ abgeschoben werden, welche dann nur noch im Krisenmodus zur Schadensbegrenzung reagieren kann – und sich reinen ökonomischen Zielstellungen unterwerfen muss ohne weitergehenden Gestaltungsspielraum im gesamtgesellschaftlichen Sinne. Warum treten wohl Silicon-Valley-CEOs für die „Erforschung eines BGE“ ein – wohl kaum aus Altruismus, oder etwa doch...?!


* Kapital ist nach Pierre Bourdieu (1930-2002) akkumulierte soziale Energie in objektiver oder verinnerlichter Form. Er unterscheidet drei Kapitalsorten: ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital und soziales Kapital. Hinzu kommt das symbolische Kapital, welches durch Unterschiede in Geschmack und Lebensstil Anerkennung und Prestige verleiht. Individuen und Klassen kämpfen im Rahmen ihrer Habitus- und Kapitalausstattung um die Position in der Gesellschaft. Die Differenzierung der Sozialstruktur in Klassen wird mit der Verfügung über die vier Kapitalsorten bestimmt.

Der Kapitalbegriff ist Bourdieu wichtig, weil zu jenem wesentlich der Aspekt der Akkumulation gehört. Auch soziales Kapital kann über die Zeit hinweg angesammelt werden. Kapital ist außerdem „institutionalisierbar“ – in Form von Geld und Eigentumsrechten, akademischen Abschlüssen etc. Die Unterschiede des Kapitals bestimmen die Struktur der sozialen Wirklichkeit mit ihren Chancen und Hindernissen: „Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte“. Alle Formen des Kapitals sind Bourdieu zufolge Unterformen des sozialen Austauschs. Die rein martktwirtschaftlich-ökonomische Interpretation des ökonomischen Kapitals lehnt er daher als Verengung ab. Die verschiedenen Kapitalsorten können demnach in bestimmten Grenzen ineinander umgewandelt werden.

Entnommen aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Soziales_Kapital

Zur weiteren philosophischen Tiefenbohrung:
Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Ihre politische Theorie kritisiert die Reduktion tätigen Lebens auf Arbeit und Konsum und insistiert auf dem Freihalten und der Erweiterung der Öffentlichkeit.

** Grundeinkommen – ein Kulturimpuls [1:38:45]
Ein Filmessay von Daniel Häni und Enno Schmidt, Schweiz (2008)


Ergänzung zum 1. Mai 2018:
Mein Beitrag zum 18. Tag der Arbeit im 21. Jh. ist der Versuch einer Einsortierung des Begriffs "Digitale Transformation", welcher aus meiner Sicht in zwei Richtungen weist:

Einerseits quasi zurück ins Industriezeitalter mit Automatisierung durch "Industrie 4.0", "Künstliche Intelligenz", etc. pp. – dabei geht es m.E. primär um die Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft in standardisierbaren Routineaufgaben. Dazu werden herkömmliche Managementanweisungen und -strukturen von Anfang des 20. Jh. nun am Anfang des 21. Jh. in Computercodes umgesetzt und anschliessend durch "robots" erledigt.

Anderseits gibt es die Entwicklungsrichtung vorwärts ins Digitalzeitalter, in welcher menschlicher Erfindungsreichtum und Kreativität genutzt und mit digitaler Unterstützung organisiert wird. Dabei müssen Organisationsformen für "humans" gefördert werden, welche sinnvolle Lern- und Veränderungsprozesse erlauben.



Ergänzung am 2. Mai 2018:
Eine Kolumne von Sascha Lobo auf spon.de

Arbeit und Digitalisierung: Das Verschwinden der Mittelklasse

»Am Tag der Arbeit 2018 sind viele besorgt. Die Digitalisierung macht etwas mit der Arbeit, das bestreitet fast niemand. [...] Ich möchte der These des drohenden Verlustes der Hälfte der Arbeitsplätze nicht folgen. Stattdessen möchte ich die Gegenthese aufstellen, dass es sich um ein Scheinproblem handelt und das tatsächliche Problem längst da ist. Es ist nur schwer zu erkennen. Digitalisierung, Robotik und künstliche Intelligenz werden in den nächsten Jahren nicht die oft bedrohlich gezeichnete, superplötzliche, revolutionäre Totalveränderung der Arbeitsgesellschaft bewirken. Aber sie verstärken Kapitalismuseffekte, die wir längst kennen. Künstliche Intelligenz ist nicht das Ende der Arbeit, sondern begünstigt die weitere Aufspreizung der Arbeit in vergleichsweise wenige hochbezahlte, hochqualifizierte Jobs und eine Vielzahl von schlechter bezahlten. [...] auch vor 100 Jahren wurden Heizer, deren Jobs durch die Automatisierung verloren gingen, nicht anschließend Architekten. Der Arbeitsmarkt funktioniert einfach anders. Er zwingt viele Menschen in Jobs, bei denen nicht die Qualifikation das ausschlaggebende Kriterium ist, sondern das Akzeptieren schlechter Bezahlung.

Die Gefahr, die ich sehe: Wenn es in der Debatte um die Zukunft der Arbeit darum geht, wie man Leute versorgt, die wegen der Digitalisierung keinen Job mehr kriegen können, fokussiert man sich auf ein Godot-Problem, das vielleicht irgendwann kommt oder auch nicht. In der Zwischenzeit wird die Mittelschicht ausgedünnt, bekommen geringer Qualifizierte nur noch Jobs, die kaum zum Überleben reichen, braucht man schon zur Versorgung einer Familie mehr Geld, als viele Menschen heute erwirtschaften können. [...] Meine Perspektive auf die Arbeit in der kommenden Digitalisierung ist keine technologische, sondern eine soziale. Sozialstaatliche Strukturen, Bildung und Fortbildung haben auf die Zukunft der Arbeit der einzelnen Menschen einen ungleich größeren Einfluss als Technologien. Die Frage der Politik zu Arbeit und Digitalisierung darf nicht heißen: Was machen wir mit denen, die durch Digitalisierung keine Arbeit mehr finden? Sondern: Wie gehen wir mit Geringverdienern um? Denn deren Zahl wird zunehmen, quer durch alle Berufe, aber besonders bei den geringer Qualifizierten. In der Fläche schwindet nicht die Arbeit, sondern die gut bezahlte Arbeit – ein Phänomen, das sich schon länger beobachten lässt. Das ist für die Bevölkerung sehr konkret spürbar. [...] Ein Umbau des Sozialstaats erscheint aus demografischen und digitalisierungsbezogenen Gründen erforderlich. [...] Alle sind besorgt am Tag der Arbeit 2018. Aber nicht so besorgt, dass etwas grundsätzlich geändert würde.«

Siehe auch:
»Disappearance of the Middle-Class« by Randall Collins (2015/06/22 posted by cmeier)
aus »Stirbt der Kapitalismus? Fünf Szenarien für das 21. Jahrhundert« (2014) Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main
based on »Does Capitalism Have a Future?« (2013) Oxford University Press

Randall Collins, Ph.D. (*1941 in Knoxville, Tennessee) is an American sociologist who is a Sociology professor at the University of Pennsylvania as well as a member of the Advisory Editors Council of the Social Evolution & History journal. He is a leading contemporary social theorist whose areas of expertise include the macro-historical sociology of political and economic change; micro-sociology, including face-to-face interaction; and the sociology of intellectuals and social conflict. He is considered to be one of the leading non-Marxist conflict theorists in the United States. The political and economic structures of contemporary capitalism could simply lose their momentum considering the rising costs and social constraints. Structurally, this could mean that the world is divided into defensive, inward repressive and xenophobic blocks. Recovery of a social order in such extreme conflict situations could remember fascism – but also include the possibility of a much broader democracy.


URL http://christianmeier.info/2018/2/zur-modularisierung-der-arbeit
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